« Der Jurakonflikt », so lautet der Titel einer unlängst bei NZZ Libro erschienenen Publikation aus der Feder von Christian Moser. Moser hat als langjähriger Redaktor u.a. beim DRS Regionaljournal und beim «Bund» einen Teil des Jurakonflikts eng mit verfolgt.

Der Verlag verspricht im Klappentext des Werks «die erste umfassende deutschsprachige Darstellung des Jurakonflikts». Um es vorweg zu nehmen: die damit geweckten Erwartungen werden enttäuscht.

Effektiv steht im Vordergrund des Buchs die Biographie von Marcel Boillat, dem Kopf des sog. Front de Libération Jurassien (FLJ). Der aus Boillat und wenigen Weggefährten bestehende FLJ hatte in den 1960er Jahren zahlreiche Anschläge auf militärische und andere öffentliche Einrichtungen sowie auf Gebäude von Berntreuen verübt. Moser zeichnet in vielen Details das Leben von Boillat nach, von seinem beruflichen Leben als Weinhändler und Wirt über die Ausführung der erwähnten Anschläge, die Inhaftierung und Verurteilung, den Ausbruch aus dem Gefängnis und die Flucht nach Spanien, sein Leben als Asylant daselbst bis hin zu seinen mehrfachen gefeierten Besuchen an den Fêtes du Peuple im Kanton Jura (nach Eintritt der Vollstreckungsverjährung…).

Wer sich eine Biographie eines rechtskräftig zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilten Kriminellen vornimmt, der nie Reue zeigte und keinen Schaden ersetzte, läuft ein Risiko. Und in der Tat fragt man sich beim Lesen, was der Autor mit seiner Biographie sagen will. Man wird den Eindruck nicht los, dass es um eine Art Rehabilitierung gehen soll. So wird immer wieder betont, dass Boillat nie Leben gefährden wollte, was offenbar auch das Bundesstrafgericht so sah. Bei Brandanschlägen auf bewohnte Häuser und insb. einem Anschlag auf Bahngeleise bei Studen könnte man allerdings gut auch die Meinung vertreten, dass Boillat die Gefährdung von Leben mindestens in Kauf nahm. Moser zeichnet Boillat bisweilen teils anekdotisch als etwas kauzigen, aber liebenswürdigen und rechtschaffenen Mitmenschen. In diesem Sinne ist namentlich dem spanischen Exil ein ganzes Kapitel gewidmet, obschon diese Lebensphase von Boillat keinerlei Bezug zum Jurakonflikt aufweist. Über die zumindest irritierende Tatsache, dass ein «Freiheitskämpfer» aus dem Jura ausgerechnet den Schutz der rechtsextremen Franco Diktatur in Anspruch nahm, hätte man hingegen gerne mehr erfahren.

Zu den Hintergründen und der Entwicklung des Jurakonflikts findet sich in der «umfassenden» Darstellung unter dem Titel «Geschichte und Geschichten» ein einziges Kapitel. Die historischen Hintergründe werden dabei nur kurz gestreift. Breiten Raum nehmen dagegen Vorfälle ein, bei denen Bern und Berntreuen Fehlverhalten vorgeworfen wird, so etwa die Sprengung einer Versammlung des Rassemblement jurassien durch die Sangliers. Der Anlass sollte am 16. März 1980 (Jahrestag des Entscheids der drei südjurassischen Bezirke, im Kanton Bern zu verbleiben) im bernjurassischen Cortébert durchgeführt werden.

Wenn es auch richtig ist, dass immer wieder unverständliche Fehler Berns, wie etwa die unsägliche Affäre Moeckli, den Jurakonflikt befeuert haben, so hätte man doch auch die staatspolitische Leistung Berns würdigen müssen, die einen potentiell hochbrisanten Konflikt einer demokratischen Lösung zuführte. Die in diesem Zusammenhang geschaffenen und aktuell bestehenden Rechte der französischsprachigen Minderheit im Kanton werden in dem besprochenen Werk mit keinem Wort erwähnt. Es wird tendenziell eher die separatistische Lesart dargestellt, wonach die Lösung der Jurafrage zu einer ungerechtfertigten Teilung einer vorbestehenden Einheit geführt hätte.

Breiten Raum nimmt im besprochenen Werk die Auflistung der «Aktionen», meist strafbare Handlungen, des Béliers ein. Die einzelnen Taten sind akribisch recherchiert. Dabei ist es schade, dass der Autor den nach wie vor ungeklärten Umständen, unter denen der Aspirant Rudolf Flükiger am 16. September 1977 bei Bure ums Leben kam, nicht mit derselben Akribie nachging. Dem angeblichen Selbstmord von Flükiger werden nur wenige Zeilen und v.a. Fragen gewidmet.

So fragt man sich am Ende, warum die Darstellung der Taten des Bélier in der Publikation von Moser so viel Raum einnimmt. Der Autor verneint auf Seite 65 in wenigen Sätzen kategorisch eine Verbindung zwischen dem Bélier und dem FLJ. Es handelt sich dabei um eine nicht belegte Behauptung. Auch hier hätte dem Werk mehr Tiefgang gutgetan. Wenn man schon die Aktionen des Bélier auflistet, hätte man auch zur Organisation selber und überhaupt den Organisationen der Separatisten und der Berntreuen mit ihren Hintergründen mehr sagen müssen, die alle im Jurakonflikt eine tragende Rolle spielten. Eine umfassende Darstellung des Jurakonflikts hätte durchaus auch auf die von Claude Hauser in seiner Dissertation eindrücklich aufgezeigten geistigen Wurzeln separatistischer Exponenten im französischen Rechtsextremismus eingehen müssen (Claude Hauser, Aux Origines Intellectuelles de la Question Jurassienne, Editions CJE, Courrendlin 1997).

Insgesamt liegt ein Werk vor, das sich angenehm liest und dessen Inhalt mit viel Aufwand recherchiert wurde, aber den Ansprüchen des Titels und des Klappentexts des Verlags vermag es leider nicht zu genügen.

Christian Moser, Der Jurakonflikt, Eine offene Wunde der Schweizer Geschichte, NZZ Libro, Basel 2020.

 

Michael Stämpfli, Ehrenpräsident BERNBilingue